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Exkurs: Residualtöne - (k)eine akustische Täuschung?

Akustische Täuschungen:

Sie haben bestimmt schon einmal diverse optische (visuelle) Täuschungen erlebt. Deutlich weniger bekannt ist, dass es auch zahlreiche akustische (auditive) Täuschungen gibt, bei denen der Sinneseindruck des wahrgenommenen Schallereignisses, das unsere Ohren an das Gehirn liefern, von diesem anders interpretiert wird, als es die reine physikalische Analyse des Ereignisses ergibt. Selbst eine gleichzeitige visuelle Wahrnehmung kann dazu führen, dass wir bei ein- und demselben akustischen Ereignis Unterschiedliches "hören" (besser: wahrnehmen). Googeln Sie einfach einmal mit den Begriffen "akustische Täuschung", Sie werden zahlreiche teils sehr interessante Beispiele finden.

An dieser Stelle soll lediglich ein Effekt beschrieben werden, der sich auf die Wahrnehmung des auf den vorherigen Seiten untersuchten Klangs einer Klaviersaite bezieht: es geht um kaum existente Grundtöne eines Konzertflügels.

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"Spielen" Sie auf der Tastatur eine beliebige weiße Taste und beobachten Sie das zugehörige Fourierspektrum.
Beschreiben Sie, wie sich dieses Spektrum während des Ausklingens des Tons verändert und was jeweils gleich bleibt.
Führen Sie dies für mehrere verschiedene weiße Tasten durch.

Zu den Grundton-Frequenzen von Musikinstrumenten und ihren Berechnungen finden Sie
hier eine weitere tet.folio-Seite.

Stoppen Sie das Spektrum des Klangs einer Taste in der rechten der beiden spielbaren Oktaven. Prüfen Sie, in welcher Form der Grundton und die Obertöne vorhanden sind, durch Ausmessen der im Spektrum sichtbaren Frequenzen und dem Vergleich zur einblendbaren Sollfrequenz des Grundtons (mittels $f_0/Hz$).
Hinweis: Zum Ausmessen der Frequenzen im Spektrum kann der Marker (rote Linie anfangs ganz links im Spektrum mit der Frequenzangabe 20 Hz) genutzt werden.
 

Tipp

Wiederholen Sie den vorherigen Versuch mit Tasten aus der linken der beiden spielbaren Oktaven.
Beschreiben Sie die deutlich sichtbaren Unterschiede und beschreiben Sie, womit bzw. wie Sie anhand des Spektrums beweisen können, dass für fast keine Taste der hier zu erwartende Grundton vorhanden ist.

Sie müssen auf die besonderen Frequenzverhältnisse von Grundton zu den Obertönen bzw. auf das Verhältnis der allein im Spektrum sichtbaren Obertöne zueinander eingehen.

Beachten Sie die bei Frequenzdarstellungen sehr häufig gewählte logarithmische Skalierung der Rechtsachse.

Stellen Sie eine begründete Vermutung über den Höreindruck auf, der sich ergibt, wenn man mittels eines Synthesizers zunächst das ursprüngliche Spektrum eines sehr tiefen Klavierklangs aus der untersten Oktave nachbildet und anschließend die Frequenz des Grundtons langsam mit größer werdender Lautstärke hinzu mischt.

Erzeugen Sie einen Sinuston mit $f_1=110Hz$ und einen Sinuston mit $f_2=1,5 \cdot f_1$. Bestätigen Sie zunächst die eingestellten Frequenzen anhand der im Plot dargestellten Schwingungs- bzw. Periodendauern.
Schauen Sie sich danach die Summenfunktion beider Sinustöne an, bestimmen Sie deren Schwingungs- bzw. Periodendauer und geben Sie die Frequenz an, die ein Beobachter wahrnehmen könnte.
Hinweis: Gehen Sie dabei davon aus, dass die für den Beobachter relevante Frequenz diejenige ist, die sich aus der Dauer einer vollständigen Periode ergibt, wobei sich die vollständige Periode als derjenige Teil ergibt, der sich im Graphen der Summenfunktion identisch wiederholt.

Im Folgenden wird ein erster und sehr einfacher Zugang zu physikalischen Erklärungsmöglichkeiten für die Wahrnehmung von Residualtönen untersucht. Finden Sie im Internet zunächst einen geeigneten Funktionsplotter, der mindestens die Sinuskurven zu zwei vorgegebenen Frequenzen und deren Summe darstellen kann. Alternativ können Sie die nebenstehende Excel-Datei herunterladen, die auf das Folgende speziell angepasst ist. Insbesondere können Sie dort die Kurven schnell einzeln ein- und ausblenden.

Erklären Sie, warum der Ton $f_2=1,5 \cdot f_1$ nicht Oberton zu $f_1=110Hz$ ist, aber beide Frequenzen $f_1$ und $f_2$ in der menschlichen Wahrnehmung durchaus als die ersten beiden Obertöne eines Klangs mit der eigentlich nicht vorhandenen Grundfrequenz $f_0= \frac{1}{2} \cdot f_1$ erkannt werden könnten.

Tipp

Stellen Sie eine plausible Vermutung auf, wie es dazu kommen kann, dass man trotz des auffälligen Ergebnisses aus den zuvor durchgeführten Versuchen ohne Zweifel Töne in der wahrgenommenen Tiefe, sog. Residualtöne,  hört.

Die Erklärung entstammt nicht in erster Linie dem physikalischen Bereich.

Eigentlich können Sie das folgende Experiment wieder mit Ihrem Smartphone und einem Klavier/Flügel durchführen, wenn Sie sicher sein könnten, dass das Mikrofon Ihres Smartphones überhaupt in der Lage ist, Frequenzen auch im Bereich von 27,5 Hz bis 110 Hz (sie ergeben die Töne der zwei untersten Oktaven eines Flügels) genau so gut aufzunehmen. wie das mit Tönen im Bereich 1000 Hz gelingt. Sie können dies ggf. prüfen, indem Sie mit einem Synthesizer Töne solcher Frequenzen erzeugen und diese anschließend mit dem Smartphone aufzeichnen. Ein Vergleich von Tönen um 25Hz mit solchen um 1000Hz liefert dann Klarheit. Ggf. kann man mittels eines Audio-Interfaces ein hochwertiges Mikrofon (beides evtl. an Ihrer Schule vorhanden) an das Smartphone anschließen, um dann wieder mit Phyphox Spektren aufzunehmen.


Die Eigenschaft unseres Gehirns, akustische Signale (ähnlich wie auch bei optischen Signalen) nicht nur objektiv zu interpretieren, sondern fast immer vernünftigerweise diese Interpretation an früher Gelerntem zu orientieren, führt auch dazu, dass man es hinsichtlich der Wahrnehmung bewusst in die - objektive - Irre führen kann.
Beispiele solcher akustischen - oder besser: auditiven - Täuschungen können Sie im Internet finden:
Shepard-Skala
Tritonus-Paradoxon

Selbst eine zur auditiven Wahrnehmung gleichzeitig eintreffende visuelle Wahrnehmung kann beeinflussen, was wir hören! Ein schönes Beispiel ist der McGurk Effekt.

Sie können anhand des folgenden IBE in jedem Fall entsprechende Untersuchungen durchführen. Das für die Aufnahmen verwendete Mikrofon zeigt eine Charakteristik, die eine einwandfreie Registrierung der hier relevanten sehr tiefen Töne erlaubt:

 


 

 

 

Das IBE erlaubt es, auf der Tastatur der untersten beiden Oktaven eines Flügels die weißen Tasten zu betätigen. Die gleichzeitig dargestellten Fourierspektren zeigen dynamisch während des Abklingvorgangs die sich verändernden Grund- und Obertöne. Ein Klick auf die Tastatur blendet eine Vergrößerung ein, auf der die weißen Tasten "gespielt" werden können, ein Klick auf das Mikrofon zeigt das Innere des Flügels.

Die Excel-Dateien wurden auf einem Windows-PC erstellt. Sie enthalten teilweise VBA-Makros und ActiveX-Steuerelemente. Daher sind sie ggf. nicht kompatibel mit Rechnern anderer Betriebssysteme und auch auf Tablets i. d. R. nicht lauffähig.

Recht bekannt und gezielt genutzt ist das hier beschriebene Phänomen der Residualtöne im Orgelbau, wo es bei den sog. akustischen Registern genutzt wird:
Bei einem gleichzeitigen Einsatz eines 8'- und eines 5⅓'-Registers (oder auch 16'- und 10⅔'-Registers), also Registern, die, wie die beiden Frequenzen im oben untersuchten Excel-Beispiel, eine Quinte auseinander liegen, nimmt man einen zusätzlichen Ton im 16'-Bereich (bzw. 32'-Bereich) wahr, also einen von keiner Orgelpfeife produzierten "Grundton", der eine Oktave unterhalb des 8'-Registers (bzw. 16'-Registers) liegt. Dieser "Trick" erspart durchaus recht viele Material- und Herstellungskosten sowie Platz und Gewicht für sehr große Pfeifen, wie sie ansonsten für die Erzeugung entsprechend tiefer Töne notwendig wären.
Interessante Informationen zur Orgel finden Sie an dieser Stelle.

S

Mikrofon

Klaviatur

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Erzeugt man allein gleichzeitig die beiden Sinustöne mit den Frequenzen $f_1=110Hz $ und $f_2=1,5 \cdot f_1=165Hz $, hört man eindeutig eine Quinte als Intervall zweier Töne dieser Frequenzen - wobei ein Ton der Frequenz $f_2=55Hz $ nicht wahrgenommen wird. Um diesen hinzu wahrzunehmen, bedarf es offensichtlich noch deutlich mehr "passender" Obertöne.

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